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6.2. Geographie

M: Wir, als Studierende an der Freien Universität möchten mit unserem Projekt dazu beitragen, dass Fragen der Geschlechterforschung interdisziplinär in allen Fachbereichen diskutiert werden können. Im Rahmen von #4GenderStudies und eines Seminars zur Wissenschaftskommunikation des MvBZs haben wir uns damit auseinandergesetzt, wie wir als Studierende den Umgang mit Gender Studies wahrnehmen. Dabei ist uns aufgefallen, dass Geschlechterperspektiven nicht nur tief im zivilgesellschaftlichen Aktivismus wurzeln, sondern gleichzeitig von interdisziplinären Auseinandersetzungen leben. Das bedeutet nicht nur, dass Geschlechterforschung überall ein Fokus sein sollte, sondern auch, dass sich Gender Studies nur durch interdisziplinäre Forschung weiterentwickeln können. Dabei wird die Kategorie Geschlecht nicht isoliert betrachtet, vielmehr sehen wir die Notwendigkeit, intersektional weitere Kategorien einzubinden (wie beispielsweise Klasse oder race) und diese in Machtstrukturen eingebettet zu analysieren und zu kritisieren.

Das MvBZ hat in einer neuen OpenMic Veranstaltung verschiedene Professor*innen gefragt, inwiefern Geschlechterforschung in ihren Fachbereichen von Bedeutung ist. Wir als Studierende möchten das Projekt weiterführen und die Studierenden dieser Fachbereiche ebenfalls dazu befragen. Denn obwohl wir natürlich auch der Meinung sind, dass Geschlechterforschung wichtig ist, muss es Angebote, Raum und Offenheit geben, um die Möglichkeit für Auseinandersetzungen zu haben.

Eure Antworten werden anonymisiert veröffentlicht und euch vor der Veröffentlichung nochmal gezeigt und durch euch bestätigt. Ist das so okay für dich?

E: Ja :))

M: Dann erstmal zu dir: Was studierst du und in welchem Semester/BA/MA/Promotion bist du?

E: Ich studiere im 6. Semester Geographie als B.Sc.

M: Wir haben ja in unserer Einleitung schon angesprochen, dass es uns in unserem Projekt um Gender Studies geht, dass aber nicht "nur" Geschlecht als Analysekategorie relevant ist, sondern auch andere Themen wie Intersektionalität, andere Diskriminierungsebenen und Machtstrukturen. Inwiefern hast du dich mit solchen Themen schon beschäftigt, ob studienintern oder -extern?

E: In meinem Studiengang sind diese Themen zwar hin und wieder angeklungen, haben aber insgesamt keine große Rolle gespielt. Ob wir uns kritisch mit z.B. Intersektionalität auseinandergesetzt haben, hing in meinen Kursen oft am Engagement der einzelnen Dozierenden. Bei manchen Professor*innen sind räumliche Diskriminierungs- und Machtstrukturen Teil der Forschung, andere setzen sich kaum damit auseinander. Deshalb gab es an meinem Institut auch eine durch Studierende organisierte AG zu Antirassistischen Geographien, die sich eigenständig mit Rassismus, sowohl fachlich als auch am geographischen Lehrstuhl beschäftigt hat und im Austausch mit Dozierenden stand, um bestimmte Themen stärker in den Grundmodulen zu verankern. Meine hauptsächliche Beschäftigung mit Intersektionalität und Diskriminierung fand aber studienextern statt, z.B. durch das Lesen von Büchern und Artikeln.

M: Okay, also würdest du sagen, dass die Themen keinen festen Bestandteil deines Studiums ausmachen, sondern eine Auseinandersetzung damit nur aus Eigeninitiative der Dozent:innen oder Student:innen passiert? Wie stehst du dann zu den Angeboten und Möglichkeiten, sich mit den Themen kritisch zu beschäftigen? Gibt es etwas, das dir fehlt oder was du dir im Studium diesbezüglich wünschen würdest?

E: Genau, soweit ich weiß sind diese Themen kaum in den Lehrplänen verankert und hängen stark von Eigeninitiative ab. Ich würde mir wünschen, dass eine kritische Auseinandersetzung mit Gender und anderen Diskriminierungsformen noch stärker in die Grundmodule, die alle Studierenden durchlaufen, aufgenommen werden. Geographie erforscht ja die Systeme von Gesellschaft und Raum, und gerade auf räumlicher Ebene sollten diese Faktoren meiner Meinung nach immer mitgedacht werden, da sie einen großen Einfluss darauf haben, wer Zugang zu welchen Räumen erhält. Zwar hat mein Institut einen eigenen Lehrstuhl für Gender und Geographie, jedoch ist die Stelle vorerst befristet und die angebotenen Kurse sind z.T. nur für Masterstudierende wählbar.

M: Okay, spannend! Was glaubst du, welchen Mehrwert kann die Auseinandersetzung mit solchen Themen nicht nur in deinem Studiengang, sondern auch allen anderen Studiengängen und Fachbereichen, also fürs Studium generell, haben?

E: Ich glaube, dass die Auseinandersetzung mit Diskriminierungs- und Machtstrukturen in allen Studiengängen eine Rolle spielen sollte - um diesen Strukturen entgegenzuwirken, die sich in alle Bereiche des Lebens erstrecken. Klar bieten sich gesellschaftliche Studiengänge besser für eine Beschäftigung an, aber auch z.B. naturwissenschaftliche oder medizinische Forschung wurde in der Vergangenheit vorrangig durch Männer geprägt und veröffentlicht, was sich auf das Wissen auswirkt, auf das wir heute zurückgreifen können. Zudem sind heute noch viele Machtpositionen, in Universitäten aber auch außerhalb davon, von weißen Männern besetzt, was sich erst durch eine möglichst breite gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Diskriminierungsstrukturen ändern kann

M: Und auf welchen Ebenen wäre es dafür nötig, Intersektionalität und Auseinandersetzungen mit Machtstrukturen zu implementieren, um an den universitären Strukturen Veränderungen zu erreichen? Also z.B. im Syllabus, in der Studiengangszulassung, im Miteinander zwischen Dozierenden und Studierenden… Mich würde auch die AG zu Antirassistischen Geographien interessieren!

E: Ich habe den Eindruck, dass universitäre Strukturen oft etwas träge funktionieren und dass es auch innerhalb der Institute Machtgefälle gibt, grade auch zwischen den alteingesessenen Professor*innen und den jüngeren Dozierenden, die kritischere Perspektiven mitbringen, aber nur befristet angestellt sind, sowie den Studierenden. Daher denke ich dass ein ständiger Austausch und Vernetzung enorm wichtig sind, um diese Strukturen zu verändern. Auch ein Zusammenschluss von Studierenden kann helfen, Änderungen einzufordern, wenn sich am Institut wenig tut.

An meinem Institut gab es z.B die studentischen AG Antirassistische Geographien,  die eine Umfrage an alle Studierenden der Uni verschickt hat, um herauszufinden, wie die Studierenden den Umgang mit Rassismus in ihrem Studiengang wahrnehmen. Davon ausgehend wurde überlegt, wo am Institut eine tiefergreifende Auseinandersetzung mit Diskriminierung verankert werden kann, und Forderungen aufgestellt. Ideen waren hier z.B. eine Implementierung dieser Themen in den Prüfungsordnungen der Grundmodule, eine stärkere Vermittlung von methodischen Kompetenzen zur kritischen Auseinandersetzung mit Wissensproduktion, eine Sensibilisierung des Lehrpersonals (z.B. durch Workshops), ein eigener Lehrstuhl für Postkolonialismus, eine*n Rassismusbeauftragte*n am Institut, eine transparente Personalpolitik und eine konkrete Auseinandersetzung des Instituts mit seiner eigenen Kolonialgeschichte. So eine Auseinandersetzung könnte natürlich auch auf Ebene der gesamten Universität stattfinden, wenn sich Gruppen und Studierende verschiedener Fachrichtungen vernetzen.

M: Okay vielen Dank für den Einblick! Eine letzte Frage noch: Wenn du versuchen würdest, es in einen prägnanten Satz zu fassen, was können intersektional praktizierte Gender Studies positiv zu deinem Studiengang beitragen?

E: Intersektional praktizierte Gender Studies im Studiengang Geographie können räumliche Macht- und Diskriminierungsstrukturen in verschiedenen Forschungsbereichen und Skalen offenlegen, Bewusstsein für diese schaffen und somit neue Strukturen ermöglichen, die Diskriminierung und Machtgefällen entgegenwirken.